Archiv der Kategorie: Laufbericht

29. Etappe Salzburg – Bernau

Dino, unser junger Bosnier, ist erstmals in seinem Leben in Deutschland. Er verschläft allerdings den Grenzübertritt aus Österreich auf der Rückbank. Zu viel mit seinen Liebchen in Bosnien geskypet am Abend zuvor. Der 19-jährige arbeitet an seinem Deutsch: „Eine große Cola, bitte“ kann er schon sagen. Allmählich freundet er sich, auf englisch, mit einigen Jugendlichen der Mies van der Rohe Schule an. Im Basketball tanzt er alle aus. dino1Und erzählt ganz nebenbei, dass er mit 16 in der bosnischen Jugendnationalmannschaft gespielt hat. Einmal („in acht Minuten 12 Punkte, davon 3 Dreier“) nur.dino3 „In Bosnien muss man viel Geld für gute Trainer zahlen. Hatten wir nicht. Also war es schnell vorbei.“ Statt gerade als Jungstar in der NBA zu triumphieren, joggt Dino jetzt mit uns.dino4

Dino, geboren im Kriegssommer 1995, erzählt auch, dass Bosnien-Herzegowina eine Weltmacht im Sitzvolleyball sei: Alle großen sechs Titel (Paralympics, WM, EM) der vergangenen Jahre gingen an sein Land. Eine zynische Folge des Krieges übrigens. Nirgends gibt es eine Generation so vieler körperlich Behinderter; derzeit im sportlich besten Alter. Eine eigene Erinnerung dazu: Im Flug von Köln nach Sarajevo vor fünf Wochen saßen sieben RollstuhlfahrerInnen, alt wie jung.

 

Im Zielort Bernau am Chiemsee gab es wieder zwei Dutzend Ortsläufer, darunter etliche Kinder. Der sehr engagierte Bürgermeister sprach in der Begrüßungsrede davon, der Lauf mute „auf den ersten Blick skurril“ an, so lange so weit (und manche von uns haben womöglich gedacht, ganz unrecht hat er nicht). Dann lobte er das Vorhaben sehr und überreichte Heinz einen verschlossenen Brief für Martin Schulz (und alle wüssten gern, was darin steht). Wir bekamen keinen Brief sondern im Sportheim des BSV Bernau einen Riesensee Rahmschwammel mit Semmelknödel, ersatzweise Schweinsbraten.schweinsbraten schweinsbraten2

Genächtigt haben wir mit Aikido-Sportlern in einer großen Halle. „Aikido bedeutet einen Weg zu gehen“, erfahren wir in einer Broschüre, der wettkampffreie Sport diene dazu, „den inneren Frieden zu finden“. Passt doch zu uns. Dennoch mussten wir Randfiguren bleiben. Die Aikido-Mattenflächen in der Mitte der Halle, also fast überall, durften wir nicht betreten. Erst hieß es, wir müssen wegen des Aikido-Morgenrituals die Halle bis 6 Uhr 30 verlassen. Eine halbe Stunde konnten wir raushandeln. Früh raus muss ohnehin sein, der nächste Tag wird mit 72 Kilometern sehr lang.

Kein Aikode - aber vielleicht Fackelmikado?

Kein Aikido – aber vielleicht Fackelmikado?

Abendstimmung. Friede,

Abendstimmung. Friede.

 

28. Etappe Bischofshofen – Salzburg

Frühmorgens sorgt Eckhard Debour erstmal für das korrekte Erscheinungsbild der Schüler, bevor er dann selbst los läuft.

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Es wimmelt unterwegs: Die 16 SchülerInnen der Mies-van-der-Rohe-Schule in Aachen, zwei Lehrer und Hund Ivo bevölkern jetzt zusätzlich die Laufstrecke. Zwei oder drei radeln meist, so können sie sich bei nachlassender Kondition autonomer untereinander wechseln. Eine relaxte Etappe mit reichlich Sonnenschein und heftiger Kulisse an Bergmassiven über der Salzach.

wimmeltlandschaft1landschaft2landschaft3Salzburg bietet einen stadtadäquaten Prachtempfang. Wir laufen die letzten Meter mit fast 30 Leuten durch den Garten von Schloss Mirabell, während zeitgleich Hofmannsthals „Jedermann“ bei den Festspielen gegeben wird. Empfang am Brunnen vor dem Schlosse. Die Touristenmassen staunen.

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Eva ist da!

Eva ist da!

Dann schreiten die verschwitzten Friedensgestalten über die Marmorstiege in den ersten Stock des Schlosses: Im Marmorsaal, dem „schönsten Trauungssaal der Welt“ (Stadtwerbung), gibt es feierliche Worte und leckere Häppchen. Das Bier haben die vanderRohes (und der leergejoggte Papa Hellmann) bald leergetrunken.

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Erst essen - dann fotografieren - aus Gründen ...

Erst essen – dann fotografieren – aus Gründen …

Im Marmorsaal erfahren wir, dass Mozart hier mit sechs Jahren schon das Klavier bearbeitet hat. Die Putten an den Decken machen alle einen sehr traurigen, fast entsetzten Eindruck. Der freundliche Stadtrat, unser Empfangsherr, weiß auch keine Antwort.

(P.S. von Dagmar: Den Putten kräftig auf den Hintern zu klatschen soll ja Glück in der Ehe bringen. Ich glaube ja, die an der Decke haben sich mit schmerzvoller Miene dahin verzogen, weil es ihnen langsam reicht. ;) )

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In der Unterkunft, dem noblen Privatgymnasium Borromäum der katholischen Kirche (dankenswerterweise vermittelt über Pax Christi in Aachen), funktioniert W-LAN mysteriöserweise nur auf dem Flügel des Schlafsaals. Hat Mozart auch heute noch in der Netzwelt seine filigranen Pianistenfinger im Spiel? In Salzburg geht nichts ohne Musik.

 

 

27. Etappe Bad Gastein – Bischofshofen

Bad Gastein ist ein unglaubliches Gebilde von Städtchen: In die steilen Berghänge geklatscht, mondän, morbide. Wir haben leider kaum Zeit, dieses Ensemble von verschachtelten Häusern, Hotels, Bädern, Cafes, dem obligatorischen Casino, dem künstlich angelegten Wasserfall und dem saftiggrünen Golfplatz im Tal angemessen zu goutieren.gastein2gastein4Früh gehts los. Und die Etappe gerät, freundlich formuliert, etwas zäh. Immer wieder ist der Radweg anderswo als gedacht und die Läufer erst recht – und das morgens erneut im heftigen Regen. Die Verfolgerfahrzeuge drehen Pirouetten. Dino, unser 19-jähriger Bosnier, läuft ungewollt (kein Begleitfahrzeug erreichbar) persönlichen Rekord (32 Kilometer) und hat danach nur noch Hunger. Peter Bartel geht zwischendurch komplett verloren (dabei war er einfach durchgekickbiket bis zum Ziel) und Hans Genten auch. Der fiel ein weiteres Mal vom Rad – „wieder nur im Stehen, nicht beim Fahren“, wie er berichtet. Das Blut war schnell gestillt. Morgens war spontan ein Einheimischer für drei Kilometer mitgelaufen – er kommt riechbar vom Durchfeiern und joggt nach Hause. Fahne for Peace.

Premiere in Bischofshofen: Hansjörg Obinger, 43, ist der erste Bürgermeister, der mit uns in seine Stadt einläuft.

regionaleEr begleitet die Läufer mit etwa 20 anderen. Darunter sieben Jugendliche des örtlichen Fußballclubs. Im Juli gab es hier in Bischofshofen antisemitischen Ausschreitungen gegen Fußballer aus Israel. Anlass genug für die lokalen Kicker die letzten gut vier Kilometer mitzulaufen.

junge-laufnummermitlaeufer-rauchtstegDer Empfang unter einer gigantischen Kastanie bei mittlerweile überraschend gutem Wetter fiel mit über 50 Leuten im Kreis überaus üppig aus. Der ORF filmte und Hans schrieb Urkunden für die regionalen Läufer.

urkundepeter-trinktWir schlafen luxuriös bei der Feuerwehr, wir essen üppig bei der Feuerwehr und wir warten erfolglos auf einen echten Einsatz in der Nacht.

feuerwehrautoessentom-peterDafür sorgen die Rettungsmenschen für eine weitere Premiere: Sie haben extra für uns einen W-Lan-Account mit Namen Friedenslauf eingerichtet. Superservice! Das war oft abends ein Problem: Man kommt in die abgelegene Schulhalle eines abgelegenen Orts, kein Gasthaus mit Netzzugang, und schon kann man der Welt nicht von unseren Taten künden.

Am frühen Abend kommen 16 Schüler und Schülerinnen der Aachener Mies-van-der-Rohe-Schule mit zwei laufbereiten Lehrerspersonen an. Ab sofort wird Flame for Peace annähernd zum Massenevent.

26. Tag – Spittal – Bad Gastein

26. Tag,Samtag 23. August.

Start im Spittaler Schnürlregen

Start im Spittaler Schnürlregen

Um 13 Uhr 03 ist der Alpenkamm über den Tauern auf 2.446 Meter erreicht – mit der brennenden Fackel in der Hand und bei Schnürlregen, wie man im Alpenländischen sagt.

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In der Hagener Hütte oben gibt es die beste Kasknödelsuppe der Welt – wirklich ein Grund mal hinaufzukraxeln, falls jemand bei Gelegenheit in der Nähe ist. Und die Flamme kommt auch steil bergab, trotz Temperatursturz von zehn auf vier Grad während unserer einstündigen Pause und einsetzendem Schnürlschneeregen. Alle Läufer sind am Ende klitschdurchnässt. Dino, Peter und Jenny joggen noch die restlichen neun Kilometer durch abenteuerliche Tunnel ins Ziel nach Bad Gastein.
Die Etappe geriet zur logistischen Großaufgabe. Wir arbeiten parallel. Sieben Leute, inklusive Kameramann Tom Meffert fahren morgens Richtung Startpunkt hinter Mallnitz und schleppen sich ab Tageskilometerpunkt 45 und Höhenmeter 1680 nach oben. Theo und Kerstin laufen derweil ab morgens die Strecke mit 1200 Höhenmetern bis dahin.

Kerstin und Theo auf ebener Strecke - noch ...

Kerstin und Theo auf ebener Strecke – noch …

Sie nehmen am Ende einen zusätzlich schweren Fußweg; Kerstin bekennt nachher, die Fackel ins Gras geschleudert zu haben, vor Erschöpfung und Momentanfrust, weil die Etappe kein Ende nahm und sie und Theo das abgestellte Auto der Bergsteigergruppe erst nicht fanden. Ein Anwohnerin wies den letztlich richtigen Weg nahe der Baumgrenze. Welches Auto muss wann mit wem wohin, um wie wann von wem übernommen zu werden? Alle Autos inklusive, die beiden Dauer-Läufer und die beiden Radler mussten kurz vor Ende per Zug-Shuttle durch die Tauernschleuse.

t-schleuse1t-schleuse2t-schleuse3Autoschlüssel werden hinter Reifen deponiert weil sie von anderen später übernommen werden. Oben zittern die Berggeher.
Die längste Etappe: 74 Kilometer. Und das Beste kam am Schluss, zumindest nachträglich. Die Telefone glühen. Weil Kerstin um 18 Uhr 16 im Zug nach Hause sitzen muss, stellt sie das Auto vor dem Bergmassiv auf den Zug und macht sich (dürstend, verfroren, ungeduscht nach 45 Kilometer laufen) von dannen. Am anderen Ende des Bergs holt Helmut den Automatik-Wagen ab, steigt ein, verwechselt Vorwärts- und Rückwärts, hopst zurück und verkeilt sich mit der Anhängerkupplung am Nummernschild des dahinter stehenden Wagens. Das ungewollte Gespann kann durch Heckhopsen getrennt werden, um so ein permanentes Hin- und Hershuttlen durch die Tauernschleuse zu verhindern. Aber das Nummernschild des Unfallopfers ist verbogen. Reisenaufregung! Die Polizei muss kommen, ein Protokoll wird aufgenommen. Die Unfallopfer bleiben untröstlich in ihrer Empörung. Wir bedauern die arme Polizei, sich mit solchem Bagatell-Unfug abgeben zu müssen.

Nach ein paar Bier (das Wirtshaus Jägerhäusl hatte ganz traditionell zu Schweinsbraten mit Knödel und Krautsalat eingeladen) wird das Ärgernis zum vielbelachten Spaßevent.

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Der großartige Schweinsbraten vom Jägerhäusl in Bad Gastein

Der großartige Schweinsbraten vom Jägerhäusl in Bad Gastein

Heinz dankt Chriszian Seel, dem Wirt vom Jägerhäusl in Bad Gastein

Heinz dankt Chriszian Seel, dem Wirt vom Jägerhäusl

Jeden Tag ein Abenteuer. Das bleibt unser Motto. Und Kerstin kam pünktlich daheim an in Erlangen, wo sie hoffentlich ein heißes Bad noch konnt erlangen.