Archiv des Autors: Bernd Müllender

51. und 52. Etappe St. Vith – Spa – Maastricht

Wir haben das 12. Land unserer Tour erreicht: Niederlande. 55 km Laufstrecke: Helmut, Henry und Björn haben wie gestern alles absolviert. Der Rest war nur Beiläufer. Was für ein Spektakel: In Eijsden (Grenzort, 10 km vor der Stadt der Verträge) empfangen und 15 LäuferInnen vom Club Atletiek Maastricht. Und Emad ist wieder da. Jubel, Umarmungen. Und Nikoleta. Jubel, Umarmungen. Und Marie (samt vier Freundinnen plus Hund). Und Jürgen als Begleiter. Noch mehr Jubel und Umarmungen.

Dann geht es im schönsten Altweiberwetter bis 2 Kilometer vor Maastricht direkt an die Maas. Ein Riesenboot, einem Drachenboot ähnlich, nimmt Emad, die Fackel und unsere Musikbox an Bord. Dann schießen die acht mächtigen Ruderblätter ins Wasser, das Boot braust majestätisch Richtung Ciry, begleitet vom Fernsehteam in einem Extramotorboot (die Maastrichter haben wirklich alles organisiert). Unsere Hymne ertönt kraftvoll über den Fluss. . Es ist fast wie bei Fitzcarraldo. Nur Caruso fehlt. Und Klaus Kinski.

Bürgermeister Onno Hoes empfängt uns im prachtvollen Rathaus. Er sagt: „Europa braucht Leute wie Sie. Sie laufen uns allen ein Stück voraus.“ Ein großes Kompliment. Danach gibts im Kellergewölbe gemeinsam mit den Maastrichter Ortsläufern ein üppiges Bufett. Abends ein Novum: Erstmals schlafen wir in Zelten. Haben die Pfadfinder für uns gebaut. Das ganze im Wassersportclub mit Clubhaus und Fluss-Terrasse. Wunderbar. „Frieden macht ganz schön viel Arbeit“ (Giana Haas), aber manchmal auch ganz ganz großen Spaß (wenn nur die stundenlangen Tagesplanungen nicht wären, die langen Debatten, auch das Blogschreiben). Naja, letzteres macht schon wieder Spaß nach so einem Tag.

Tags zuvor (51. Etappe) waren wir von St. Vith nach Spa gelaufen. Neuer Rekord: 68 Kinder laufen am Morgen mit, manche einen Kilometer, manche zwei, andere wollen mehr, aber die Lehrer sind so furchtbar realistisch und wissen, dass sie die gleiche Strecke wieder zurückmüssen. 50 Kilometer und alles (bis auf Kleinigkeiten) auf drei verschiedenen Radwegen. Vennbahn und zweimal Ravel-Weg.

30. Etappe Bernau – Bad Tölz

Aus dem Polizeibericht: „Miesbach 27.8. Auf der B 472 zwischen Miesbach und Waakirchen wurde am Mittag ein herrenloser 73-jähriger aufgegriffen. Der Mann war in strömendem Regen mit kurzen Hosen auf einem Tretroller („Kickbike“) völlig durchnässt die viel befahrene Landstraße entlang gefahren. Er behauptete, aus Berlin zu stammen und erkläre den Beamten mit großer Ernsthaftigkeit, er gehöre zu einer Läufergruppe aus Aachen, müsse nach Bad Tölz, weil dort „ein Zittermanni oder so“ auf ihn warte und er für den Frieden unterwegs sei. Auf Vorhalt, ein Tretroller passe nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht zu einem Lauf, sprach er von der lodernden Flamme in einer Fackel. Zwischendurch hüpfe er immer wieder von einem Bein auf das andere, angeblich weil er fror. Mobiltelefon oder Ausweis hatte er nicht bei sich. Polizeipsychologen haben sich seiner angenommen. Ein terroristischer Hintergrund wird vorläufig ausgeschlossen.“peter1

Gut, dass wir es waren, die den armen Peter Bartel noch vor der Polizei wieder fanden, anderthalb Stunden, nachdem er auf halber Strecke zwischen Bernau und Bad Tölz verloren gegangen war. Genau geklärt werden konnte nicht, wo er falsch abgebogen war und warum ihn Eckhard als schneller Suchtrupp zunächst in keiner Richtung entdecken konnte.peter2

Schon am Tag zuvor war Peter, der gerne stückweise alleine unterwegs ist, zwei mal vom Weg abgekommen. Ein ausgewiesener Radweg („ich schwöre, der hat mich dahin geführt“) endete mitten in einer weiten, saftigen Wiese des Voralpenlandes. Da schob er sein Kickbike hunderte Meter leicht bergauf zur nächsten Straße. Dann wies ihn eine Frau („die war supernett und ursprünglich auch noch ne Berlinerin“) wegen einer Baustellensperrung auf eine unfreiwillige Bergetappe. Die Sperrung hatten wir nach Absprache mit dem Bautruppführer mit Läufern und Autos gut passieren können. Peter, der pensionierte Mathelehrer: „Als Beamter kann ick so wat nich, einfach durch, nee.“

Mittlerweile wird Peter von vielen grinsend mit Oberst oder Herr Oberst angesprochen und er grüßt dann auch lächelnd mit Hand an die Schläfe zurück. Oberst liegt an seiner frappierenden Ähnlichkeit mit Oberst Villa, dem Kommandanten des Galaktischen Sicherheitsdienstes aus der TV-Kultserie „Raumpatrouille“, um den schnellen Raumkreuzer Orion in den 60er Jahren. „Is ja wirklich unglaublich“, sagt Peter selbst, „dat mir dit nie aufjefallen ist.“

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Merkwürdiges Bayern: Eisdielen heißen hier Eis-Boutiquen, mehrfach haben wir sie unterwegs entdeckt. Und ein Schild mit zwei zeitabhängigen Weißwurst-Preisen. Richtige Bayern essen nie eine Weißwurst nach Gongschlag 12. Touristen, bittschön, zahlen halt einen Euro Aufschlag für kulturelles Banausentum, wenn sie nach dem Mittag bestellen. Wir machen Mittagspause auf dem Parkplatz vor der „Filialkirche zur Hl. Dreifaltigkeit“ in Wörnsmühl. Filiale: was mag in der Hierarchie darüber kommen? Niemand da, den man dazu fragen könnte. Gut: Die Diozöse München und Freising, das steht dran. Und ganz oben ist nun mal die Konzernmutter, der Herr selbst. Aber darunter – gibt es Abteilungen wie in einem Supermarkt? Zum Beispiel solche für Frischfleisch wie Messdiener?

Zither-Manä, ein 67-jähriger Barde aus der Region, empfängt uns in der sehr altbayerischen Fußgängerzone von Bad Tölz mit Zither-Rock und Zither-Blues. Das fetzt ungemein. zittermanViele Leute bleiben stehen; wir schaffen den ersten Hunderterkreis für die Ankunftszeremonie. toelz-kreisAbends, nach dem grandiosen Essen im Burgkeller („Bayerisches Buffet“, Dank an die spendable Stadt!), spielt der Zither-Manä noch ein halbes Stündchen für uns zum Nachtisch. Grandios!

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Geschlafen haben wir dann in der vielleicht schönsten Montessori-Schule Deutschlands (Komplett von Krabbelgruppe bis Abi). Was da ein Geld verbaut wurde, – und das sogar ohne Kirche und städtische Millionen. So kann Schule auch.

Bernd (planmäßig) und Theo (vorzeitig wegen Magen, Knie, Wetter und „zu viel Chaos, weisch!?“) verlassen die Gruppe.

29. Etappe Salzburg – Bernau

Dino, unser junger Bosnier, ist erstmals in seinem Leben in Deutschland. Er verschläft allerdings den Grenzübertritt aus Österreich auf der Rückbank. Zu viel mit seinen Liebchen in Bosnien geskypet am Abend zuvor. Der 19-jährige arbeitet an seinem Deutsch: „Eine große Cola, bitte“ kann er schon sagen. Allmählich freundet er sich, auf englisch, mit einigen Jugendlichen der Mies van der Rohe Schule an. Im Basketball tanzt er alle aus. dino1Und erzählt ganz nebenbei, dass er mit 16 in der bosnischen Jugendnationalmannschaft gespielt hat. Einmal („in acht Minuten 12 Punkte, davon 3 Dreier“) nur.dino3 „In Bosnien muss man viel Geld für gute Trainer zahlen. Hatten wir nicht. Also war es schnell vorbei.“ Statt gerade als Jungstar in der NBA zu triumphieren, joggt Dino jetzt mit uns.dino4

Dino, geboren im Kriegssommer 1995, erzählt auch, dass Bosnien-Herzegowina eine Weltmacht im Sitzvolleyball sei: Alle großen sechs Titel (Paralympics, WM, EM) der vergangenen Jahre gingen an sein Land. Eine zynische Folge des Krieges übrigens. Nirgends gibt es eine Generation so vieler körperlich Behinderter; derzeit im sportlich besten Alter. Eine eigene Erinnerung dazu: Im Flug von Köln nach Sarajevo vor fünf Wochen saßen sieben RollstuhlfahrerInnen, alt wie jung.

 

Im Zielort Bernau am Chiemsee gab es wieder zwei Dutzend Ortsläufer, darunter etliche Kinder. Der sehr engagierte Bürgermeister sprach in der Begrüßungsrede davon, der Lauf mute „auf den ersten Blick skurril“ an, so lange so weit (und manche von uns haben womöglich gedacht, ganz unrecht hat er nicht). Dann lobte er das Vorhaben sehr und überreichte Heinz einen verschlossenen Brief für Martin Schulz (und alle wüssten gern, was darin steht). Wir bekamen keinen Brief sondern im Sportheim des BSV Bernau einen Riesensee Rahmschwammel mit Semmelknödel, ersatzweise Schweinsbraten.schweinsbraten schweinsbraten2

Genächtigt haben wir mit Aikido-Sportlern in einer großen Halle. „Aikido bedeutet einen Weg zu gehen“, erfahren wir in einer Broschüre, der wettkampffreie Sport diene dazu, „den inneren Frieden zu finden“. Passt doch zu uns. Dennoch mussten wir Randfiguren bleiben. Die Aikido-Mattenflächen in der Mitte der Halle, also fast überall, durften wir nicht betreten. Erst hieß es, wir müssen wegen des Aikido-Morgenrituals die Halle bis 6 Uhr 30 verlassen. Eine halbe Stunde konnten wir raushandeln. Früh raus muss ohnehin sein, der nächste Tag wird mit 72 Kilometern sehr lang.

Kein Aikode - aber vielleicht Fackelmikado?

Kein Aikido – aber vielleicht Fackelmikado?

Abendstimmung. Friede,

Abendstimmung. Friede.