Archiv der Kategorie: Bosnien-Herzegowina

6. Tag – Etappe des Grauens

Srebrenica – am Morgen laufen wir los zur Gedenkstätte des Genozids vom Juli 1995 und legen einen Kranz nieder. Giana weint beim Übersetzen der Berichte und persönlichen Erlebnis eines Zeitzeugen, Peter und Nikoleta stützen sich gegenseitig. Wir fassen uns alle an den Händen und bilden mit einem Dutzend Einheimischer, darunter einige alte Frauen mit Kopftuch, für eine Minute einen Kreis des Innehaltens.

Was hier vor fast 20 Jahren Vertreter unserer Spezies anrichteten, es bleibt unfassbar. Man schämt sich, Mensch zu sein.

FNawrath_MG_4373 Unsere Laufetappe begleitet jetzt Sasa, 32, aus Srebrenica. Er ist arbeitsloser Holzfäller und läuft spontan ein paar Tage mit, zwischendurch will er sich nach einem Job umsehen. Er ist also quasi mit unserem Tross auf der Walz. Was für eine Type: Ein Muskelberg von Mensch mit Glatze und Kinnbart, Tattoos überall, raucht reichlich und trinkt schon zum Frühstück Weinschorle. Er hatte als Serbe den Kranz für die muslimischen Opfer mit uns niedergelegt und sagt: »Das wird sicher Gerede geben, wenn ich wieder nach Hause komme, aber für mich war das gut so. Dazu stehe ich.« Er bekommt standing ovations. Benni sagt morgens, er habe noch nie jemanden im Leben so schnarchen hören. Und Benni ist auch schon 30. _MG_4383FNawrath_MG_4395  Konny beschallt die Läufer mittlerweile mit Musik aus seinem Friedensmobil, auf Wunsch Händel, Konstantin Wecker oder unsere Hymne auf englisch oder bosnisch. Ansonsten ist es eine chaotische Etappe: Brütende Hitze, vielbefahrene Landstraßen, sehr unschönes Laufen. Etliches an Organisation geht schief, Wagen fehlen, wo sie sein sollten, es gibt widersprüchliche Absprachen, fehlende Richtungsangaben. Erstmals gibt es mit quietschenden Reifen eine haarige Verkehrssituation, lange Schlangen hinter uns und ein ungeduldiger Taxifahrer, der alles an erigierten Mittelfingern aus dem Fenster streckt, was er zur Verfügung hat. Hans tänzelt  derweil mit seinem Fahrrad zwischen Läufern, Lkw und Gegenverkehr und bremst auch mal voll ab, sobald er ein schönes Fotomotiv sieht. Am Ende findet er den Weg zur Unterkunft nicht, Jürgen fischt ihn wieder ein. Dabei waren wir am Etappenende doch beim Drinski Raj, dem Drina-Paradies, einem malerischen Stausee gleich vor der Stadt. Ein Autoschlüssel geht zu Bruch, der Mercedes ist nur noch analog zu bedienen. Zwischendurch geht Dagmar vom Filmteam in den Bergen auf der Suche nach einer Bergmoschee verloren und wird erst nach über einer Stunde orientierungslos von einer alten Schäferin gefunden, die sie mit Händen und Füßen redend wieder auf den Weg bringt. Die Odysse zur Bergmoschee

Montag sollen uns sechs bosnische Marathonläufer von Loznica in Serbien nach Tuzla begleiten. FNawrath_MG_4381

5. Tag – Srebrenica – welche Stadt, welch Empfang

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Srebrenica, die Stadt des Genozids am 11. Juli 1995. Mindestens 8.000 Muslime wurden damals zusammengepfercht und binnen Stunden ermordet. Alle von uns sind ergriffen von den 40 Kindern, die auf den letzten 3 Kilometern vor Srebrenica nach und nach zu uns stoßen, an jeder Kurve stand wieder eines, dass dann die Fackel übernahm. Heinz sagt später bei unserer Tagesbesprechung, was mögen die Eltern dieser Kinder erlebt haben, vielleicht gibt sind auch Kinder aus Vergewaltigungen dabei. Ein Kind, so Giana, habe nur gesagt: „Endlich kommt die Friedensflamme.“

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Eine Stunde Programm, Tanz, Live-Musik, eine tolle Rede des Bürgermeisters, viele Menschen. Längst vergessen die Qualen des Tages – 40 Kilometer, wieder auf fast 1.000 Meter hoch, zeitweilig im mittlerweile strömenden Regen (der letzte laut Wetterbericht für die nächsten Tage, endlich). Bosnien hatte den nassesten Juli seit Menschengedenken: 21 Regentage, statt durchschnittlich 1. Emad erjoggte sich derweil mit seinem Halbmarathon den Titel eines Ehren-Lukas (siehe Tag 4).

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4. Tag – Tag der Katzen und Hunde (update 1.8.)

Heinz wird zum Helden der Nacht. Schon am Abend hatte ein Köter erst Marie, später Bernd bei seiner GuteNacht-Zigarette, aggressiv aus der Dunkelheit neben dem Haus angeknurrt. Plötzlich mitten in der Nacht ist das Tier im Flur unseres Motels. Man hört „Sheeet, sheeet“, dann etwas leitwolfhaft kräftiger. Heinz schaffte es tatsächlich, das seltsame Viech zu verjagen.

Endlich, am vierten Tag, dreht sich heute am Nachmittag nach der Südostschleife unsere Laufrichtung Richtung Norden. Das bedeutet: Erstmals kommen wir Aachen näher. Schon fliegen die Beine schneller. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass es nach dem Aufstieg auf 1.070 Meter ins serbische Bajina Basta bergab geht. Und weil es entgegen der Vorhersage zu regnen aufgehört hatte.

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Grenzübertritt nach Serbien 18 Kilometer hinter Visegrad. Auf bosnischer Seite will sich uns ein Kätzchen anschließen. „Das“, weiß Männer-Kennerin Nikoleta mit schnellem Blick, „ist doch ein Kater, da, guck mal,  ist doch das Gehänge“. Wir sehen nur Fell. Auch auf serbischer Seite keinerlei Kontrollen der Autos. Allerdings gab es ein Problem: Jürgen. Der konnte es nicht lassen, ein Foto von der lauschigen Grenzanlage mitten im Wald zu machen. Das fand der sehr gestrenge Herr Wachhabende strenggesichtig aber so was von gar nicht lustig. Er zitierte Jürgen aus einer Entfernung von gut 30 Metern zu sich, Jürgen musste sich vor das Fotografieren verboten – Schild stellen und es sich intensiv angucken. Dann bitte den Chip löschen. Halt, nein, nee… Nach kurzer Diskussion beließ es die serbische Autorität beim Löschen des einen Bildes.

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Symbolbild: Bernd versucht die Zöllner zu beruhigen.

Der 4. Tag ist ansonsten ein trauriger. Wir müssen uns nach zwei Drittel der Strecke von der Hellmann-Family (Vater Peter, Töchter Marie und Jenny) verabschieden. Alle drei versprechen in den Alpen oder spätestens beim Weg durch Bayern wieder dabei zu sein. Mujo fährt sie zum Flughafen nach Sarajevo. Auch Lukas sitzt im Wagen zum Airport. Er muss aus beruflichen Gründen (ein plötzlicher dicker Auftrag) seine geplanten zehn Tage abkürzen. Lukas ist ein Knaller. Er ist an jedem der vier Lauftage vom Start weg einen Marathon gelaufen und hat den anderen dadurch einiges an Laufarbeit abgenommen. Auch Lukas will irgend möglich noch mal ein Wochenende zu uns stoßen. Hoffentlich!

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Lukas auf dem Weg zum Pass.

Es regnet Katzen und Hunde, wie der Angelsachse sagen würde. Auf den letzten Kilometern hatte Lukas im strömenden Regen ein streunender Hund begleitet. Damit hatten wir nach den zehn Schulkindern von Ustikolina und den 20 Kilometer mitjoggenden Soldaten auf dem Weg nach Gorazde eine ganz neue Art von Ortsläufer. Die Fackel wollte er im prasselnden Regen allerdings nicht in die Schnauze nehmen. Ein dickes Sandwich lenkte den verspielten Kerl dann ab.

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In Bajina Basta laufen wir mit zwei Sportlern des Ortes ein. Der eine ist serbischer Jugendmeister im Hochsprung (2, 10 Meter), der andere Mittelstreckencrack. Die Damen in unserer Gruppe sind doch vom knackigen komplett schwarzen Outfit der beiden angetan. Im Ort einiger Jubel und Applaus, weil die beiden bekannt sind. Vielleicht galt ns auch was davon. Konny hatte schon den Lautsprecher vor dem Touristenbüro aktiviert und so donnerten die Neogene-Lieder durch den Ort.

Die Begrüßung: serbisch kühl wie am Tag zuvor in Visegrad, und jenseits größerer Öffentlichkeit. Ein Lauf, der von Sarajevo startet, macht misstrauisch, sagen unsere Bosnier.

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3.Tag – Ustikolina – Višegrad

Die Sonne brennt ganz gut heute morgen und Mirza Zonić, der Fußballer aus Tuzla, schnürt seine Laufschuhe. Wir sind in der Kaserne von Ustikolina, wo wir übernachtet haben.

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Mirza ist hier Soldat. Drei Soldaten werden die Friedensflamme mittragen, Mirza, sein Fußballkollege Almir Adilović und der bosnische Marathonläufer Zaim Šuman.

Almir Adilović

Almir Adilović

Sie laufen mit bis Goražde, wo der Bürgermeister und begeistert klatschende Goraždianer uns empfangen und Hits der lerzten 10 Jahre in Rekordlautstärke über den Platz dröhnen – extra für uns.
Urkunden werden an die Gastläufer verteilt und weiter geht’s.

Die Strecke führt durch diverse Tunnel, manche so lang, dass man das Licht am Ende ertsmal nicht sieht. Wir fahren mit unserem roten Filmbus schon mal vor und ich frage mich, wie das ist, hier durchzulaufen. Nicht so schlimm, wie es aussieht, erfahre ich später.

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Der offizielle Empfang in Višegrad ist leicht unterkühlt, ein Vertreter des Tourismusbüros spricht ein paar Sätze und ignoriert die Frage nach Grußworte von Jugendlichen, die wir mit nach Straßburg nehmen wollen. Als Antwort wünscht er wortreich einen schönen Abend – und das war’s.

Umso freundlicher werden wir in dem kleinen Hotel am Rande des Ortes aufgenommen. Alle haben Hunger, Konni verarbeitet in seinem Viel-Sterne-Kochmobil die versehentlich halbgefrorenen Bananen zu köstlich nahrhafter Bananenmilch.

FNawrath_MG_4181Danach – Soße mit Sojafleisch. Extrem lecker – nur – das Gas ist alle bevor der Reis gekocht werden kann. Nur Soße mit Sojakram, das kann nicht reichen nach so einem Lauf. Panik kommt auf, Mägen knurren vernehmlich. Spontan werden im Hotelrestaurant Nudeln für uns gekocht, in mehreren Etappen, bis alle – fast – satt sind. Das nenn ich Gastfreundschaft!

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